Freie / Konzeptionelle Fotografie | Nominiert

Loredana Nemes

Berlin/Deutschland www.loredananemes.de

beyond

Konzept

Unterwegs im nächtlichen Berlin nähere ich mich den Männerwelten in türkischen, orientalischen oder arabischen Lokalen in Kreuzberg, Neukölln und Wedding, zu denen mir der Zutritt als Frau und kulturell nicht Zugehörige sonst verwehrt bleibt.

Neben den klar komponierten Aufnahmen der Außenansichten dieser geheimnisvollen Orte, die wie wundersame Leuchtkästen wirken, entstehen Porträts der Cafébesucher, erstaunliche Nahansichten von Männergesichtern, schemenhaft wahrgenommen und ausdrucksstark. Während ich mit meiner Linhof-Plattenkamera draußen bleibe, posieren die Ausgewählten hinter den für diese Institutionen charakteristischen Sichtschutzvorrichtungen aus Milchglas und Vorhängen. Das Ergebnis dieses Dialogs sind Bilder, die uns Grenzen aufzeigen – kulturelle und visuelle.

Ein Fotograf, der vor einem türkischen Kaffeehaus eine Linhof-Plattenkamera auf einem Stativ aufbaut, erregt Aufsehen – viel mehr noch, wenn der Fotograf eine Frau ist. So lichtete ich zunächst das Exterieur ab, die Fassade, den Eingang, das Fenster. Wenn sich ein Gespräch ergab und man es mir erlaubte, machte ich ein Porträt von einem der sich innen befindenden Männer, gesehen durch die Scheibe oder den Vorhang. Es ist kein Porträt im konventionellen Sinn, sondern eher das einer Geistererscheinung, ein Sinnbild der Fremdheit, welche beide – den Porträtierten wie den Betrachter – leicht verstört zurücklässt. Darüber hinaus ist es ein Porträt eines verschleierten Mannes.

Was die gleichermaßen faszinierende wie unheimliche Wirkung der Bilder, der Fensteransichten und mehr noch der Porträts von „beyond“ ausmacht, dürfte u. a. die Dichte und Feinheit der fotografischen Oberflächenstruktur sein, die das Arbeiten mit dem Negativformat von 10 x 13 cm erst ermöglicht. Man sieht jeden Fliegenschiss auf diesen Fensterscheiben, und zugleich sehen wir nichts von dem, was es zu sehen gibt. Die Fotografien erzählen weniger von den Läden und ihren Besuchern als vielmehr von uns, den Außenseitern und Betrachtern, unseren Ängsten und Projektionen.

Gleichsam ist „beyond“ ein fotografisches Experiment mit der Sichtbarkeit. Der durch die Verhüllung gebremste Blick und das als weitere Linse fungierende beklebte Fenster, gekoppelt an den Voyeurismus der Nacht, sind in Verbindung mit diesem zwar nachbarschaftlich erlebten, dennoch politischen Thema ein fotografisches Bonbon, an dem ich mich reiben und erfreuen konnte.